12.11.2009 | 22:34
„101 Koffer für die letzte Reise“ in Frankfurt am
Main
Der Bestatter Fritz Roth hat eine
Wanderausstellung initiiert, die noch bis zum 16. November 2009 in Frankfurt am
Main gezeigt wird und danach „vor der Auflösung steht“, wie es im
Ausstellungsprospekt heißt. Auf der Projekt-Homepage heißt es dagegen, es gebe
noch weitere Termine im nächsten Jahr in Korschenbroich und in Bergheim.
Menschen wurden aufgefordert, einen „Koffer für
die letzte Reise“ zu packen, in den all das hinein sollte, was sie auf ihre
„letzte Reise“ nach dem Tod mitnehmen möchten. Die Ausstellung soll dazu
anregen, sich mit dem Sterben und mit dem Tod auseinanderzusetzen. Roth
verschickte 101 Koffer an die Teilnehmer seiner Trauerakademie, eine Handvoll
auch an Prominente, und bat sie um Rücksendung. Auf die Veranstaltung war ich
diese Woche aufgrund zweier Blogbeiträge[1][2] aufmerksam geworden[3] –
natürlich ein Pflichttermin, wenn man am gerade begonnenen Funkkolleg „Religion
und Gesellschaft“ des Hessischen Rundfunks teilnimmt.[4]
Wegen der großen Zahl an Ausstellungsstücken,
mußte die Ausstellung auf zwei Orte verteilt werden, was nebenbei auch für den
ökumenischen Proporz sorgt. Der weitaus größere Teil der Koffer ist im Haus am
Dom auf zwei Ebenen zu sehen, der kleinere Rest im Eingangsbereich der
Frankfurter St. Katharinen-Kirche. Beide Ausstellungsorte sind in Fußwegweite
in der Frankfurter Innenstadt an der Haupteinkaufsstraße Zeil gelegen. Die
Katharinen-Kirche liegt direkt an der Hauptwache.
Meinen Ausstellungsbesuch begann ich im Haus am
Dom. Die Koffer sind geöffnet auf Pfosten aufgestellt worden, so daß man in sie
hineinblicken kann. Sie wurden in einem regelmäßigen Gittermuster neben- und
hintereinander plaziert. Die Reihenfolge der Aufstellung sei nicht zufällig.
Man habe sich an der Ordnung orientiert, in der die Ausstellungsstücke
angeliefert worden seien, erfuhr ich auf Nachfrage. Über jedem Koffer wurde ein
Blatt angebracht, auf dem die Teilnehmer des Projekts Gelegenheit bekommen
haben, sich selbst (nebst Photo) und ihre Ideen vorzustellen, von denen sie
sich bei der Gestaltung ihres Koffers hatten leiten lassen. So bleibt denn auch
die Frage „Was wollte uns der Künstler damit sagen?“ in keinem Fall
unbeantwortet. Die „Steckbriefe“ sind ebenso individuell ausgefallen wie die
Koffer: Die meisten wurden mit der Hand beschriftet, einige mit der
Schreibmaschine (sic!), und einige Teilnehmer haben ihr Blatt mit der
Textverarbeitung geschrieben.
„Jeder Jeck stirbt anders“, könnte man in
Abwandlung eines Mottos aus dem Kölner Karneval sagen, und jeder setzt sich
auch mit dem eigenen Tod auf seine ganz eigene Weise auseinander. André Malraux
soll gesagt haben, es gebe nicht „den Tod“, sondern immer nur den eigenen,
individuellen Tod (« Il n'y a pas la
mort, c'est moi qui meurs »), darauf weist uns ein Projektteilnehmer an
einer unauffälligen Stelle hin. Trotz alledem kann man beim Betrachten und
Abschreiten der Koffer-Reihen sozusagen „Werkgruppen“ bilden, die ähnliche
Ansätze zeigen.
Den meisten fällt es offenbar schwer, von der
eigenen Vergangenheit und Gegenwart loszulassen. Sie regredieren in ihre
Kindheit, entweder indem sie eigene Spielzeuge vorführen oder indem sie die
kleine Szene mit kindlichen Motiven bespielen. Oder sie packen ihr allzu
produktives Leben ein, indem sie den Laptop oder den Terminkalender auch noch
mit ins Jenseits nehmen möchten. Einer treibt es dandyhaft sogar so weit,
bitteschön nicht ohne Smoking und Zahnbürste Abschied nehmen zu wollen. Andere
wählen Blumenmotive oder beziehen sich auf literarische Texte, von Adorno,
Proust und Kafka bis hin zu Harry Potter, vielleicht auch in Anspielung auf
Jorge Luis Borges' Satz, das Paradies habe er sich immer als eine Art
Bibliothek vorgestellt. Auch John Irving kam mehrmals vor. Einmal auch Sartres
„Das Spiel ist aus“. Öfter auch die Bibel, natürlich. Teilweise wird man auch
mit dem einschlägigen Meditations-Kitsch konfrontiert. Und viele lassen ihren
Koffer ganz leer, was die meisten von ihnen mit der etwas altbackenen Aussage
begründen, das letzte Hemd habe bekanntlich keine Taschen. Tatsächlich wird uns
in einem Koffer ein solches Hemd gezeigt, von dem die Brusttasche entfernt
worden ist, die Nähte erscheinen wie eine Wunde. Sehr viele Teilnehmer füllen
den Koffer mit Photos ihrer Lieben, was auf Trennungsängste für den Todesfall
hinweist. Am besten gefallen hat mir der Koffer von Frau Heidorn, in dem ein
knochiger Totenschädel und zwei Gerippe-Hände liegen, die nicht zum Abschied,
sondern eben zur Begrüßung – in der neuen Welt, sozusagen – leise Servus sagen,
was als Schriftzug auf einem roten Tuch geschrieben steht, mit dem das Gerippe
dem Betrachter fröhlich zuwinkt. Huhu!
Natürlich gibt es auch die enfants terribles, in diesem Fall sind es zwei Promis. Gunther
„Körperwelten“ von Hagens füllt seinen Koffer mit einem Schweinchen und
weiteren Plastinaten und erklärt dazu, er wünsche sich nach seinem Tode nicht
beerdigt, sondern plastiniert zu werden, weil er die Plastination für die
modernste Form der Bestattung halte. High
tech. Und Franz „Sonnenseite“ Alt erklärt in einer E-Mail mit schneidender
Eiseskälte, es wundere ihn nicht, daß sein ursprünglicher Entwurf für den
Steckbrief zu seinem leeren Koffer sowohl auf seinem Rechner als auch auf
demjenigen des Empfängers nicht mehr aufzufinden sei. Mit dem ganzen Projekt
könne er sowieso nicht viel anfangen. So sei das eben. – Dies sind aber
Ausnahmen.
Der Besuch der Ausstellung macht nachdenklich und
ist daher nachdrücklich zu empfehlen. Der Kontrast zur umliegenden Kommerzwelt
der Frankfurter Zeil könnte nicht größer sein und wird als beinahe unerträglich
empfunden.
Haus am Dom
und St. Katharinen-Kirche in Frankfurt am Main bis 16. November 2009. Eintritt
frei.