Donnerstag, 2. November 2006

die koffer in münster








Eine packende Ausstellung
Ein Koffer für die letzte Reise

Münster. Pasta im Kilo-Pack nimmt TV-Nudel Susanne Fröhlich mit, sein erstes plastiniertes Ferkel hat der umstrittene Anatom Gunther van Hagens in seinen Koffer gepackt, Autor und Filmemacher Franz Alt will hingegen "dem Tod keine Vorschriften machen" und nimmt nichts mit auf die "letzte Reise". Persönliches und Kurioses, Künstlerisches und Humoristisches, Gläubiges und Symbolisches... - das, was 102 Menschen fürs Jenseits gepackt haben, ist so verschieden wie sie selbst.
Fritz Roth wundert dieses Ergebnis seiner Koffer-Initiative nicht. Aus einer langen Zeit der intensiven Auseinandersetzung mit der Tod- und Trauerkultur in der deutschen Gesellschaft hat der Trauerbegleiter aus Bergisch-Gladbach genau dies zeigen wollen - und daher Frauen und Männer jeglichen Alters gebeten, ihren "letzten" Koffer zu packen: "Um allen Menschen Mut zu machen." Mut zur Individualität - auch im Tod. Mut zur Mündigkeit - auch beim Trauern. Mut zur Erkenntnis - gerade jener, dass der Tod zum Leben gehört. Normiertheit dürfe gerade in der letzten Phase des Lebens, die Auseinandersetzung existenzieller Art verlange, nicht das Zepter in der Hand halten. "Trauer und Tod sind so bunt wie das Leben", so individuell wie jeder Einzelne.

Konfrontation mit dem Tod

35 mal 55 Zentimeter groß sind die Gepäckstücke, die Künstler, Handwerker, Intellektuelle, Alte, Junge auf Einladung von Roth gefüllt haben. Mit der Frage "Was würden sie auf der Reise aus diesem Leben mitnehmen?" konfrontierte der Initiator der Wanderausstellung, durch innovative Ideen zum Thema bekannt, all diese Menschen mit dem Tod. Und sie ließen sich gerne konfrontieren. "400 Koffer hätte ich ausstellen können - so groß war das Interesse."
Vom Tod als Tabuthema könne daher keine Rede sein, nur von den "Professionellen" werde es zu einem solchen gemacht. Der Katholik Roth meint damit auch seine Kirche, der Bestatter Roth auch seine Kollegen. Ihrer seiner Meinung nach zu sterilen Praxis hält er das gefühlte Bedürfnis der Menschen entgegen, die "natürlich" mit dem Thema umgehen möchten. "Holt die Toten in die Kirche zurück", fordert er etwa von beiden Konfessionen. Das ganze Leben lang sei das Gotteshaus an elementaren Stationen "Heimat", aber "wenn wir tot sind, fliegen wir raus". Der Leichnam stehe meist Kilometer entfernt, während die Trauergemeinde das Requiem feiere.

"Der Tod gehört zum Leben"

Nach dem Vorbild vieler Völker, die ihren Verstorbenen Grabbeigaben mit auf die letzte Reise gaben, wollte er Menschen mit der Koffer-Idee die "vitale Chance" geben, sich mit ihrem eigenen Tod auseinander zu setzen. Doch nicht nur das: Sie sollen durch die "Planung" der letzten Reise auch mit anderen darüber ins Gespräch kommen können. Aber der erste Blick in die voll gestopften, spärlich bestückten oder schlicht leeren Gepäckstücke scheint zunächst mindestens genauso viel vom Leben der Kofferpacker zu sprechen wie von deren Tod. Von dem, was sie nur mit großer Schwermut hinter sich ließen. Von Dingen, die ihr Leben prägten. Von Sehnsüchten, die sie noch haben. Von Vorstellungen, was wohl kommen mag, an dem Ort, den keiner kennt. "Der Tod gehört zum Leben" - genau das soll die Aktion verdeutlichen.
"Wenn man eh stirbt, kann man auch rauchen." Jürgen Becker nimmt den Tod nicht auf die Schippe, schaut ihm aber scheinbar gelassen entgegen. Im Koffer des Kabarettisten findet sich schlicht eine Pfeife samt Tabak, während andere ihre zehnbändige Marcel-Proust-Ausgabe nicht missen möchten oder ganz praktisch denken und eine Sonnenbrille mitnehmen - gegen das "grelle Licht am Ende des Tunnels". Doch keineswegs nur Humoristisches oder Lakonisches findet sich als Erklärung auf den Personalbögen, die jedem Gepäckstück beigefügt sind und dem Packer ein Gesicht geben. Viele Allerweltsdinge werden in diesem Kontext zu Hoffnungszeichen, zu Symbolen einer Sehnsucht, die kein Ende kennt - auch nach dem Tod.

Was würde ich mitnehmen?

Horst Tress etwa hat seinen Koffer mit seit August 2005 ungeöffneten Briefen gefüllt - "eingefrorenen Buchstaben für das Jenseits", eine Kunststudentin hat ihre Spuren in Sand gegossen, Ruth Hässler will nur ihr Totenhemd mitnehmen, Malerin Cornelia Enax die Farbpalette, die schon ihr Leben bunt gemacht habe. Es sind bewegende Zeugnisse bewegter Leben, die sich in dem schwarzen Utensil sammeln und sie führen den Besucher unweigerlich zur Frage: Was würde ich mitnehmen?
"Nichts" ist die am häufigsten gegebene Antwort. Doch die wenigsten jener "Packer", die für sich diese Entscheidung trafen, schickten Initiator Roth die Koffer unberührt zurück. Künstler Alfred Arnold schnitt aus seinem ein Gerippe: "Ein Fragment - nur noch eine Erinnerung an irdische Reisen". Andere gaben ihr "letztes Hemd" hinein, einen Rosenkranz, letzte Worte. Und ein Spiegel in einem Kasten zeigt jedem, der hineinschaut, was er mitnimmt: "die klare Sicht auf unsere eigene Existenz".


Text und Foto: Kerstin Heil, 02.11.2006