Eine
packende Ausstellung
Ein
Koffer für die letzte Reise
Münster.
Pasta im Kilo-Pack nimmt TV-Nudel Susanne Fröhlich mit, sein erstes
plastiniertes Ferkel hat der umstrittene Anatom Gunther van Hagens in seinen
Koffer gepackt, Autor und Filmemacher Franz Alt will hingegen "dem Tod
keine Vorschriften machen" und nimmt nichts mit auf die "letzte
Reise". Persönliches und Kurioses, Künstlerisches und Humoristisches,
Gläubiges und Symbolisches... - das, was 102 Menschen fürs Jenseits gepackt
haben, ist so verschieden wie sie selbst.
Fritz
Roth wundert dieses Ergebnis seiner Koffer-Initiative nicht. Aus einer langen
Zeit der intensiven Auseinandersetzung mit der Tod- und Trauerkultur in der
deutschen Gesellschaft hat der Trauerbegleiter aus Bergisch-Gladbach genau dies
zeigen wollen - und daher Frauen und Männer jeglichen Alters gebeten, ihren
"letzten" Koffer zu packen: "Um allen Menschen Mut zu
machen." Mut zur Individualität - auch im Tod. Mut zur Mündigkeit - auch
beim Trauern. Mut zur Erkenntnis - gerade jener, dass der Tod zum Leben gehört.
Normiertheit dürfe gerade in der letzten Phase des Lebens, die
Auseinandersetzung existenzieller Art verlange, nicht das Zepter in der Hand
halten. "Trauer und Tod sind so bunt wie das Leben", so individuell
wie jeder Einzelne.
Konfrontation
mit dem Tod
35 mal
55 Zentimeter groß sind die Gepäckstücke, die Künstler, Handwerker,
Intellektuelle, Alte, Junge auf Einladung von Roth gefüllt haben. Mit der Frage
"Was würden sie auf der Reise aus diesem Leben mitnehmen?"
konfrontierte der Initiator der Wanderausstellung, durch innovative Ideen zum
Thema bekannt, all diese Menschen mit dem Tod. Und sie ließen sich gerne
konfrontieren. "400 Koffer hätte ich ausstellen können - so groß war das
Interesse."
Vom Tod
als Tabuthema könne daher keine Rede sein, nur von den
"Professionellen" werde es zu einem solchen gemacht. Der Katholik
Roth meint damit auch seine Kirche, der Bestatter Roth auch seine Kollegen.
Ihrer seiner Meinung nach zu sterilen Praxis hält er das gefühlte Bedürfnis der
Menschen entgegen, die "natürlich" mit dem Thema umgehen möchten.
"Holt die Toten in die Kirche zurück", fordert er etwa von beiden
Konfessionen. Das ganze Leben lang sei das Gotteshaus an elementaren Stationen
"Heimat", aber "wenn wir tot sind, fliegen wir raus". Der
Leichnam stehe meist Kilometer entfernt, während die Trauergemeinde das Requiem
feiere.
"Der
Tod gehört zum Leben"
Nach dem
Vorbild vieler Völker, die ihren Verstorbenen Grabbeigaben mit auf die letzte
Reise gaben, wollte er Menschen mit der Koffer-Idee die "vitale
Chance" geben, sich mit ihrem eigenen Tod auseinander zu setzen. Doch
nicht nur das: Sie sollen durch die "Planung" der letzten Reise auch
mit anderen darüber ins Gespräch kommen können. Aber der erste Blick in die
voll gestopften, spärlich bestückten oder schlicht leeren Gepäckstücke scheint
zunächst mindestens genauso viel vom Leben der Kofferpacker zu sprechen wie von
deren Tod. Von dem, was sie nur mit großer Schwermut hinter sich ließen. Von
Dingen, die ihr Leben prägten. Von Sehnsüchten, die sie noch haben. Von
Vorstellungen, was wohl kommen mag, an dem Ort, den keiner kennt. "Der Tod
gehört zum Leben" - genau das soll die Aktion verdeutlichen.
"Wenn
man eh stirbt, kann man auch rauchen." Jürgen Becker nimmt den Tod nicht
auf die Schippe, schaut ihm aber scheinbar gelassen entgegen. Im Koffer des
Kabarettisten findet sich schlicht eine Pfeife samt Tabak, während andere ihre
zehnbändige Marcel-Proust-Ausgabe nicht missen möchten oder ganz praktisch
denken und eine Sonnenbrille mitnehmen - gegen das "grelle Licht am Ende
des Tunnels". Doch keineswegs nur Humoristisches oder Lakonisches findet
sich als Erklärung auf den Personalbögen, die jedem Gepäckstück beigefügt sind
und dem Packer ein Gesicht geben. Viele Allerweltsdinge werden in diesem
Kontext zu Hoffnungszeichen, zu Symbolen einer Sehnsucht, die kein Ende kennt -
auch nach dem Tod.
Was
würde ich mitnehmen?
Horst
Tress etwa hat seinen Koffer mit seit August 2005 ungeöffneten Briefen gefüllt
- "eingefrorenen Buchstaben für das Jenseits", eine Kunststudentin
hat ihre Spuren in Sand gegossen, Ruth Hässler will nur ihr Totenhemd
mitnehmen, Malerin Cornelia Enax die Farbpalette, die schon ihr Leben bunt
gemacht habe. Es sind bewegende Zeugnisse bewegter Leben, die sich in dem
schwarzen Utensil sammeln und sie führen den Besucher unweigerlich zur Frage:
Was würde ich mitnehmen?
"Nichts"
ist die am häufigsten gegebene Antwort. Doch die wenigsten jener
"Packer", die für sich diese Entscheidung trafen, schickten Initiator
Roth die Koffer unberührt zurück. Künstler Alfred Arnold schnitt aus seinem ein
Gerippe: "Ein Fragment - nur noch eine Erinnerung an irdische
Reisen". Andere gaben ihr "letztes Hemd" hinein, einen
Rosenkranz, letzte Worte. Und ein Spiegel in einem Kasten zeigt jedem, der
hineinschaut, was er mitnimmt: "die klare Sicht auf unsere eigene
Existenz".
Text und Foto: Kerstin
Heil, 02.11.2006